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Ganz kleines Licht - Erster Prozess um Kölner Silvesternacht

Von Christoph Driessen, dpa


/ 24.02.2016/ Eigentlich geht es an diesem Tag im Kölner Amtsgericht nur um
Diebstahl. Ein junger Mann hat ein Handy geklaut. Und doch geht es um
mehr: Denn die Tat ereignete sich in der Silvesternacht. Und der
Angeklagte ist Nordafrikaner.

Köln (dpa) - Persönliche Schlusserklärungen des Richters sind
eigentlich nicht üblich, vor allem wenn es um einen so alltäglichen
Tatvorwurf wie Diebstahl geht. Doch diesmal kann sich Richter Amand
Scholl nicht zurückhalten. Einmal, so erzählt er, im Urlaub in
Washington, habe ihm ein Amerikaner gesagt, Köln sei die schönste
Station seiner Europareise gewesen. «Heute wird immer nur noch
gefragt: Was ist in Köln los?» Auch darum, so sagt er, sei es in
dieser Verhandlung gegangen.

Es ist eben doch kein ganz normales Diebstahlsverfahren, das da am
Mittwoch vor dem Amtsgericht Köln abläuft. Das merkt man schon an den
ungefähr 60 Journalisten samt ausländischer Kamerateams. Es geht um
das erste Verfahren zur Kölner Silvesternacht.












Angeklagt ist ein 23 Jahre alter marokkanischen Asylbewerber. Vor
einem Jahr, so sagt er aus, ist er über Frankreich nach Deutschland
gekommen. Der junge Mann ist geständig. Er gibt zu, dass er in seiner
linken Socke 0,1 Gramm Amphetamin hatte. Und er gibt zu, dass er
einer jungen Frau ihr Handy aus der Hand gerissen hat. Diese Frau, 20
Jahre alt, sagt als Zeugin aus. Sie kommt aus Sulz im Landkreis
Rottweil in Baden-Württemberg und war nach Köln gekommen, um dort mit
Freundinnen Silvester zu feiern.

Als sie abends im Hauptbahnhof ankamen, fielen ihnen gleich die
«vielen ausländischen Männer» auf. Auf dem Weg nach draußen spürte
die 20-Jährige, wie ihr im Gedränge jemand an den Po fasste. Kaum war
sie auf den Bahnhofsvorplatz getreten und hatte ihr Handy gezückt, um
den Dom zu fotografieren, wurde es ihr von hinten aus der Hand
gerissen. Wer es gewesen war, konnte sie nicht sehen.

In dieser Situation kam ihr ein Mann zu Hilfe - ein Mann von
ausländischem Aussehen. «Das ist der Dieb!», rief er und zeigte auf
den Täter. Im Gerichtssaal steht die junge Frau dem Hinweisgeber nun
wieder kurz gegenüber, lächelt ihn an und gibt ihm die Hand. Sie
erfährt auch, mit wem sie es zu tun hat: 30 Jahre ist er alt,
Baggerführer, seit vier Jahren in Deutschland. Er stammt aus
Afghanistan. Ein Flüchtling.

Die junge Frau ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie verfolgte den
Dieb quer über den Bahnhofsvorplatz. Als jemand ihm ein Bein stellte
und er daraufhin stürzte, war sie sofort bei ihm. Schnell zog er das
Handy aus der Tasche und gab es ihr zurück. Dann sei sofort die
Polizei zur Stelle gewesen, sagt sie aus. 

Der Angeklagte ist aufgestanden, um etwas zu sagen. Ein Dolmetscher
übersetzt es mit: «Es tut mir leid. Entschuldigung.» Mit gefalteten
Händen und gesenktem Blick steht der junge Mann da, wie ein Kind, das
etwas angestellt hat.

In der Silvesternacht sei etwas Beispielloses in Deutschland
geschehen, sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Das
Sicherheitsempfinden der Allgemeinheit sei nachhaltig beschädigt
worden. Der vom Angeklagten begangene Diebstahl sei «ein Mosaikstein
im Gesamtgeschehen». Eine milde Strafe kommt für sie nicht infrage:
Sie fordert sechs Monate auf Bewährung und eine Geldstrafe von 30
Tagessätzen.

Der Verteidiger hat dafür kein Verständnis. «Hier ist die ganze Zeit
so verhandelt worden, als ob mein Mandant für die ganze
Silvesternacht verantwortlich zu machen ist.» Dabei sei er doch nur
ein ganz kleines Licht, eine «Wurst». Die Forderung des Anwalts: eine
Geldstrafe von 90 Tagessätzen - sein Mandant wäre dann nicht
vorbestraft.

Richter Scholl verkündet sein Urteil unverzüglich: sechs Monate auf
Bewährung und 20 Tagessätze, das sind in diesem Fall 100 Euro. Danach
kommt die Erklärung mit dem Amerikaner und dem schönen Köln, dann ist
die Sitzung beendet. In einer Stunde sind schon die nächsten
Angeklagten aus der Silvesternacht dran.


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